Sexuelle Fantasien: Wo kommen sie her?

Das Gehirn ist unser größtes Sexualorgan, hört man immer wieder – stimmt das? Oh ja, die Milliarden an Nervenzellen verschalten zum Beispiel, was wir wie als erregend erleben und für erotische Fantasien ist ebenfalls der Kopf verantwortlich. Und die können mal ganz bewusst angesteuert werden – oder aber auch einfach auftauchen. Während die einen hier zustimmend nicken, und wahrscheinlich ganz genau wissen, welche Sex-Fantasie sie im Moment total anmacht, gibt es genauso auch Menschen, die bei der Selbstbefriedigung oder beim Sex selten bis gar nicht darauf zurückgreifen, sich etwas Erregendes vorzustellen.

Denn zur Lust und in die Erregung kann man mit oder ohne Fantasien kommen und das eine ist nicht besser als das andere – für viele funktioniert es aber ausgesprochen gut, das eigene Sex-Kopf-Kino anzuschalten: Sei es, um erst mal in Fahrt zu kommen, während dem Sex, oder auch nur kurz vorm Orgasmus für den letzten Kick, um zu kommen.

Zum Glück sind Fantasien ja Privatsache, und um hier direkt mal eine Angst zu entkräftigen: Fantasien können manchmal ganz schön heftig oder extrem sein, und das hat NICHT zwangsläufig etwas damit zu tun, was man sich in der Realität wünscht oder wie man sexuell „gepolt“ ist.

Sexueller Wunsch oder Fantasie?

Manchmal kann man eine Vorstellung ganz klar als „das wäre doch mal reizvoll umzusetzen…“ identifizieren, ganz häufig aber ist völlig klar, dass das Ganze bitte fiktiv bleiben soll. Ich höre oft von Klient*innen, dass sie gar nicht verstehen, warum sie ,,so arge“ Fantasien so erregend finden. Oft geht es da um Vergewaltigungs- oder BDSM-Fantasien, Orgien, „verbotenen“ Sex – meistens grenzüberschreitende Szenarien.

Meistens kann man gut unterscheiden, um welche Art der Fantasie sich das jetzt handelt: Eine, die raus darf und soll – oder eine, die einfach im Kopf bleiben kann und dort prima funktioniert. Unangenehm kann es werden, wenn man sich selbst so wenig mit der sexuellen Vorstellungen identifizieren kann oder sie gar moralisch verwerflich findet – dann kann man mit sich selbst in einen Konflikt kommen, denn „so bin ich doch gar nicht, warum werde ich dann davon geil“? Auch wenn immer gilt „Die Gedanken sind frei“ habe ich im Laufe meiner Arbeit gemerkt, dass es manchmal nicht reicht, jemandem im Gespräch zu vermitteln, dass sie sich keine Sorgen machen müssen und alle sexuellen Fantasien in Ordnung sind. Wer es dennoch noch mal hören will: Ja! Genau so ist es meiner Meinung nach. Eigene Bilder, die individuell mit Erregung verknüpft sind und sich im persönlichen Kopf-Kino abspielen, dürfen erst mal alles, eine Grenze nach Außen wird nicht verletzt.

Einen Unterschied macht es meist auch, ob es viele verschiedene sexuelle Fantasien gibt, auf die zurückgegriffen werden kann – oder ob es eben nur „die eine“ gibt, die „immer sein muss.“ Das kann – ich sage bewusst „kann“, nicht „muss“ zu einem Problem werden.

Wenn die eigenen Fantasien sich schlecht anfühlen…

Und deswegen verstehe ich, wenn es sich so anfühlt, wie es mir eine Klientin mal schilderte, bei der sich im Kopf-Kino immer wieder ein Film abspielte, in dem viel Gewalt vorkam und der sie erregte: „Währenddessen ist es total geil, auch wenn es sich schon ein bisschen falsch anfühlt – aber danach bekomme ich ein schlechtes Gewissen und schäme mich dafür. Es ist fast so, als würde ich mir damit selbst ein Stück weit etwas antun.“ Sich so zu fühlen ist belastend und es braucht ein klein wenig mehr Hintergrundbeleuchtung, um richtig zu verstehen, warum Gewalt in sexuellen Fantasien für viele Menschen super funktioniert und sie sich nicht dafür verurteilen müssen – sondern sich selbst verstehen dürfen und eben auch, warum das so gut funktioniert.

Und hier sind wir schon tief drin im „eigenen sexuellen System“: Das hat nämlich jeder Mensch und es ist – Überraschung – höchst unterschiedlich und individuell. Je nachdem welche Kompetenzen jemand gelernt und Spür-Erfahrungen jemand in seinem Leben bisher gemacht hat, dementsprechend breit gefächert sind dann auch die eigenen Ressourcen in der Sexualität.

Was soll das denn sein „Ressourcen in der Sexualität“?

Damit sind ganz unterschiedliche Bereiche gemeint. Wie man seinen Körper spürt und für Lust und Erregung einsetzen kann ist ein ganz großer Bereich. (Lies dazu mehr in meinen letzten beiden Blog Artikel), aber auch das eigene Wissen über Sex, das eigene Wertesystem, die Fähigkeit in Beziehung zu treten oder zu verführen und und und. Das tolle ist: Alle sammeln etwas an, jede*r verfügt über eine bestimmte Bandbreite und Ressourcen. Und – Spoiler Alert! – man kann sie auch ein Leben lang erweitern, denn Sexualität ist zum großen Teil erlernt. Weiterlernen ist also immer möglich.

Aber zurück zu den Fantasien. Bei meiner Klientin mit den Gewalt-Fantasien stellte sich beim Evaluieren ihres sexuellen Systems heraus: Auf der körperlichen Seite braucht sie viel Anspannung und Druck, um erregt zu werden und Lust zu spüren. Konkret sah das in der Selbstbefriedigung so aus, dass sie ihre Beine durchdrückt, eine Hand an die Klitoris presst, der Atem flach geht und sich der ganze Körper wenig bewegt, sondern eben vor allem – anspannt. Ein oft sehr effektiver Weg zum Orgasmus. (Für Menschen mit dem Wunsch nach Orgasmus läge genau hier auch die Ressource! – ihr seht, schwarz/weiß ist das Ganze nie!)

Fantasien und Körper-Tools hängen zusammen

Schaut man sich jetzt an, was eine „Gewalt“ oder BDSM Fantasie mit dem Körper macht, wird schon einiges klarer: Wie reagiert man in Erwartung auf einen Schlag? Der Körper spannt an. Wie viel Bewegungsrahmen hat man im fixierten oder gefesselten Zustand? So gut wie keinen, man spürt eher den Druck von außen. Und da machte es dann Klick: Das waren ja genau die Dinge, die meine Klientin brauchte, um körperlich erregt zu werden. Die Fantasie meiner Klientin passte also einfach perfekt zu ihrem momentanen Körpereinsatz beim Sex. Und hatte wahrscheinlich sehr viel weniger mit ihren vermeintlichen „Wünschen“ zu tun.

Allein diese Erkenntnis kann unheimlich beruhigend sein und gibt einem auch die Möglichkeit, sich zu entscheiden: Passt das so für mich, oder will ich im Bereich meiner „Körper-Tools“ etwas erweitern? Denn das coole ist: Dort kann man gut ansetzen. Neue Fantasien kann man sich nicht „verordnen“, aber wenn es darum geht, wie wir unsere Körper beim Sex mit uns selbst und Anderen einsetzen, kann man – und ja, das braucht Übung – immer etwas dazulernen. Der erste Schritt dafür ist immer die Selbstbeobachtung und oft kann es sehr hilfreich sein, sich Unterstützung durch eine Sexualberatung oder -therapie zu holen.

Spannend: Wenn ich im Bereich meiner Körper-Tools breiter aufgestellt bin, können sich auch meine sexuellen Fantasien erweitern oder verändern. Denn ich bin ja nicht mehr nur auf das eine angewiesen, sondern habe mehrere Möglichkeiten. In vielen Fällen, so auch bei meiner Klientin, trat die Gewalt-Fantasie so einfach ein Stück weit in den Hintergrund. Sie funktionierte immer noch, und meine Klientin benutze sie auch noch gelegentlich (jetzt aber ohne Scham!) – der Fokus aber war breiter geworden und die bestimmte Fantasie musste einfach nicht mehr immer sein. Für sie war damit das Problem gelöst.

Das ist EIN Beispiel – jedes sexuelles System ist so individuell wie der Mensch selbst und wenn sich über längere Zeit ein Druck aufbaut, mit den eigenen Fantasien könne etwas nicht stimmen, dann lohnt es sich absolut, mal „the big picture“ anzuschauen und etwas Neues über sich zu lernen.

Sexuelle Fantasien verraten also durchaus viel über uns – aber nicht immer das, wovon wir ausgehen. Sie also ein Stück weit aus der Tabu-Ecke zu holen und bei Bedarf besprechbar zu machen, lohnt sich: Denn anstatt mit Abwertung und Scham geht es uns doch mit einem guten Selbst-Verständnis (manchmal muss ich eben erst mal verstehen, was ich dann auch mögen oder akzeptieren kann) sehr viel besser!

Dieser Text ist auf ohmyfantasy.com erschienen