Sex mit chronischer Darmerkrankung

Auf der Liste der Tabu-Themen rangieren Sexualität und Verdauung relativ weit oben. Kombiniert man sie jetzt noch, hat man – ja, was eigentlich? Ein doppeltes Tabu? Eine potenzierte Peinlichkeit? Oder ein Thema, welches man mit zweifacher Anstrengung zu verstecken versucht? Hoffentlich nichts von all dem! Dennoch ist klar: Es ist nicht für alle einfach, über ihre Sexualität zu sprechen und das Thema Kacken braucht, wenn man nicht gerade drei ist, im zwischenmenschlichen Umgang auch erst mal eine Aufwärmphase. 

Wie ist das also, wenn man nicht nur im üblichen Maße mit seiner Verdauung beschäftigt ist? Was ist, wenn man eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hat wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, so wie über 400.000 Menschen in Deutschland oder geschätzt rund 60.000 Menschen in Österreich?

Grundlegend ist es erstmal eine anstrengende Sache, mit einer chronischen Krankheit klarzukommen und sich zwangsläufig ständig über die eigene Verdauung den Kopf zu zerbrechen, sie immer präsent zu haben und zu beobachten. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Es dauert, die eigene Diagnose zu akzeptieren

Als mir mit 30 nach einem ständigen Hin und Her zwischen Ärzt*innen Colitis ulcerosa diagnostiziert wurde, war das erst mal ein Schock. Meine Gedanken waren: Was, das ist nicht heilbar? Ich werde jetzt für immer krank sein? Was heißt das? Und warum überhaupt ich?
Eben all die Implikationen, die eine Diagnose so mit sich bringt, gefolgt von einem Prozess der langsamen Akzeptanz bis hin zu der Erkenntnis: Ok, mein Leben geht trotzdem weiter. Ich lerne damit umzugehen und mein persönliches Glück hängt nicht davon ab, auch wenn es oft ganz schön nervt. Und schließlich wird es Teil des eigenen Lebens und hat zwar mehr oder weniger großen Einfluss auf die Lebensgestaltung, macht mich aber nicht als Menschen aus. Auch wenn sich das je nach Phase oder Schub unterschiedlich anfühlen kann.

Menschen mit CED (chronisch-entzündliche Darmerkrankung) wissen das: Die Krankheit und ihre Symptome können sich phasenweise sehr unterscheiden, von „Momentan spüre ich nichts, alles super“, bis hin zu starken Schmerzen, ständigen Durchfällen und keine fünf Meter ohne Klo in Reichweite ist alles drin. 

Wie ist das mit dem Sex?

Zurück zum Sex. Oder zu dem, was man – ob Selbstbefriedigung oder gemeinsamer Sex – dafür braucht: Lust.

Wenn man mal drin ist in der sexuellen Lust– und das werden einige sicher schon festgestellt haben – kann das schmerzlindernd sein. Aber die Krux ist ja: Bei zu viel Unwohlsein zu Beginn ist es viel schwerer als sonst, überhaupt in die Lust zu kommen. Bauchschmerzen sind nun mal auch in einer Region angesiedelt, die nicht weit von den Geschlechtsteilen entfernt ist und sie wirken oft wie die absolute Lust-Bremse. 

Punkt Nummer Zwei: Gerade bei Darmerkrankungen ist die Kontrolle über die Verdauung oft eingeschränkt.

Das heißt, plötzlicher Durchfall ist möglich und Erkrankte können oftmals nicht gut „einhalten“. Egal wie oft es dann wirklich zum „In-die-Hose-machen“ kommt: die Angst davor ist in Schub-Phasen immer da. Und das kann schon eine ziemliche Hürde beim Daten sein – und bei all dem, was vor dem Sex kommen kann: ausgedehnte Spaziergänge, ein Picknick im Park oder generell Orte ohne Klo-Zugang sind dann ein No-Go.

Wann erzähle ich es dem*der neuen Partner*in?

Geht man gerade eine Beziehung ein, ist da immer auch der Moment der Überwindung, es dem*der neuen Partner*in zu erzählen und auch in Langzeitbeziehungen kann sich die sexuelle Dynamik verändern. Für Menschen mit Stoma (das ist ein künstlicher Darmausgang) ist ohnehin klar: im nackten Zustand ist der Beutel sichtbar und man muss ein Handling damit finden, wenn es zum Sex kommt. Und was ist eigentlich mit denjenigen, die Analsex oder generell die Stimulation im Analbereich mögen oder früher gemocht haben?

Auch das kann sich durch eine Darmerkrankung verändern, Körperstellen können neu besetzt sein oder sich anders anfühlen.

Gar nicht hilfreich ist es auch, wenn das Gefühl von Scham dazukommt und einen einschränkt. Es gibt also neue und vielleicht ungewohnte sexuelle Situationen und Herausforderungen, mit denen man als Mensch mit CED einen Umgang finden muss. Außerdem kommt hinzu, dass wir nun mal sowieso alle eine individuell geformte Wahrnehmung haben und einen ganz unterschiedlichen sexuellen Background mitbringen. Ist also eine Person mit einer Krankheit konfrontiert, bringt sie auf der sexuellen Ebene schon ein ganz persönliches Set an Erfahrungen, Kompetenzen, Wertevorstellungen, Vorlieben, Lust-Zugängen, und und und mit. Je breiter dieses „Set“ aufgestellt ist, desto leichter kann mit Veränderungen umgegangen werden. Denn meistens findet man dann neue, andere und passende Wege.

Lernen geht auch in der Sexualität ein Leben lang

Ganz normal ist aber auch, dass uns in bestimmten Bereichen etwas sehr schwerfällt, was entweder vorher leicht ging – oder zumindest ohne die Krankheit noch so halbwegs geklappt hat. In dem Fall ist die gute Nachricht: Auch in der Sexualität kann man ein Leben lang dazulernen.

Ein erster Schritt dazu kann eine ehrliche und offene Selbstreflektion sein, vielleicht auch ein Gespräch mit guten Freund*innen oder dem*der Partner*in. Manchmal ist aber gerade das schwer oder führt gefühlt nirgendwo hin – dann kann eine Sexualberatung oder -therapie genau das richtige sein, um sich Lösungswege zu erarbeiten: Hin zu einer befriedigenden Sexualität, die gut passt und mit dem eigenen Leben vereinbar ist; es bereichert, Spaß macht, Entspannung bringt oder Aufregung – was es eben ist, das für einen selbst den Benefit von Sex ausmacht.

Dazu gehört übrigens auch die Möglichkeit, sich zu entscheiden, dass Sexualität zeitweise oder längerfristig keine oder nur eine kleine Rolle spielt. Und eins ist sicher: Genauso wie sich das Leben immer wieder gewollt oder ungewollt verändert, darf sich auch die Sexualität verändern, erweitern und der aktuellen Lebensphase anpassen.

Dieser Text wurde auf editionf.com veröffentlicht