“Blümchen-Sex“ vs. Kink – Warum wir aufhören sollten, Sex in Schubladen zu stecken

Was ist eigentlich guter Sex? Eine Frage, tausend Antworten, und viele, die sich ihrer Sache da ganz sicher zu sein scheinen. Während ein (Groß-)Teil der Bevölkerung darüber vielleicht gar nicht gern öffentlich debattiert, und das Thema, wenn nur angedeutet, für Kichern oder betretenes Schweigen sorgt, gibt es auch die andere Richtung: Sexualität zum Thema Nummer 1 zu machen, diese „Offenheit“ zu glorifizieren und das eigene Experimentieren oder den eigenen Kink als etwas zu verstehen, was maximale Entwicklung der eigenen Sexualität bedeutet. Dabei wird bisweilen leicht verächtlich auf diejenigen geschaut, die da anscheinend noch nicht so weit sind.

Beides sind von mir sehr stark beschriebene Extreme:  Zum Glück gibt es auch alles dazwischen und mein Text ist auch als Plädoyer dafür zu verstehen, sich eben der Vielfalt an gelebter Sexualität bewusst zu sein und sich vielleicht ein Stück weit von all den Kategorisierungen zu lösen, die – in Österreich würde man jetzt sagen: “no na” (Übersetzung: eh klar!) – wir Menschen mögen und brauchen, die eben aber auch oft sehr einschränkend sind.

„Blümchen-Sex“ vs. Kink

Ein gutes Beispiel dafür ist die oft heraufbeschworene Unterscheidung zwischen „Blümchen-Sex“ (Vanilla) und jeglichen Kinks. Als gäbe es nur zwei Arten von Sex: „Klassischer“ Sex mit den Assoziationen normal, im Bett, oft heteronormativ mit Penis in Vagina, 08/15 und vielleicht mit romantischer Komponente. Und im Kontrast dazu die Welt des Kinks: Ausleben von Fantasien, ein paar spezifische Vorlieben im Gepäck, immer eine „dirty mind“ und Lust auf Sex-Partys.

Klingt irgendwie beides übertrieben? Oder beides gut? Achja, kleiner Reminder: Man muss sich nicht für eines entscheiden! Das ist das Gute an Sex und allem, was mit Erregung und Lust zu tun hat: Es darf immer unterschiedlich sein und es darf sich auch im Laufe der Zeit entwickeln oder verändern.

Wie unsere Sexualität entsteht und wächst

Wir haben schon mit unserer Geburt eine Sexualität, schon im Mutterbauch lassen sich Erektionen von Penis und Vagina/Vulva nachweisen und jedes Kind, das auf die Welt kommt, entdeckt seinen Körper und kann Erregung spüren. Das sind die ersten Lernschritte auf dem Weg zur erwachsenen Sexualität, die bei jedem und jeder später ganz unterschiedlich aussehen wird: je nachdem, welche Lust-Connections im Körper angelegt werden, je nachdem welches sexuelle Mindset man mitbekommt und entwickelt, je nach Erfahrungen und Ausprobieren mit dem eigenen Körper.Dabei funktionieren wir ab der Kindheit nach dem Prinzip: „Was sich gut anfühlt, wird wiederholt“ und so kann man die eigenen sexuellen Kompetenzen vielleicht als Pakete verstehen, die durch Zufall, Gelegenheit und Möglichkeiten gesammelt werden. Und ja, das Tolle daran ist auch, dass man ein Leben lang weitersammeln, erweitern und den Fokus verschieben kann – genau in diese Richtung arbeite ich zusammen mit meinen Klient*innen in der Sexualberatung.

Mit dieser „Ausstattung“ also trifft man nun auf unsere Welt, auf all die Do´s and Don´ts, die je nach Zeitgeist und Gesellschaft vermittelt werden, auf potenzielle Liebes- und Sex Partner*innen, auf Kontexte, Menschen und Beziehungen. Wie man dann Sex miteinander hat, hängt also von vielen Komponenten ab: Was man sich als erregend „angelernt“ hat und welche Fantasien im Kopf dazu passen und reizvoll sind.

Aber auch der Kopf, bzw. das eigene Moral- und Wertesystem spielen eine Rolle: Was ist „in Ordnung“ und wird sich zugestanden? Denn manchmal braucht Sex auch den Mut, zu sich und seinen Bedürfnissen zu stehen. Seien die nun gerade schnelle Entspannung, ein Orgasmus, das Spüren von Nähe, Aufregung oder oder oder…

Sex-Schubladen…

Um zurück auf Sex-Schubladen zu kommen: eine klare Bezeichnung für den Sex, den man hat oder mag, zu finden, kann für manche zeitweise sicher hilfreich sein. Es hilft, Leute mit den gleichen Vorlieben zu finden oder auch eine Szene, in der man sich aufgehoben und nicht stigmatisiert fühlt, wenn etwas vom vermeintlichen „Durchschnitt“ abweicht. (Spoiler Alert: Es gibt keinen Durchschnitt – genauso wie im Leben gibt’s beim Sex jegliche Vorlieben, Bedürfnisse und Kombinationen). Das sind alles gute und durchaus praktikable Sachen.

Manchmal wird dabei allerdings eines vernachlässigt: Beim Sex geht es um ein geiles, erregendes Gefühl im Körper. Das ist universell auf jede sexuelle Begegnung anwendbar und in meiner Definition ist es kein Sex, wenn dieses Gefühl nicht im Körper und den Genitalien spürbar ist (und ja, diese Art von „Non-Sex“ kann man auch haben). Wie man dieses Gefühl herstellt ist wirklich so unterschiedlich wie sich Menschen voneinander unterscheiden.

Das “Wie” kann – auch innerhalb einer einzigen Person – total abwechslungsreich sein, aber das “Was” und das “Wo” sind doch letztendlich the same things for everyone. Und das finde ich schön, es macht uns menschlich, ohne uns „gleich“ zu machen und rückt unseren Spürhorizont in den Vordergrund. Also: auf viele gute und geile Sex-Gefühle ganz egal in welchem Kontext!

Dieser Text ist bei imgegenteil.at erschienen